Goldene Zeiten voraus - von Daniel Haase
Wenn die Bayerische Staatsregierung nicht gerade im «Team Vorsicht» spielt, gibt es im Herbst alle Jahre wieder das Oktoberfest. Ich gestehe, selbst noch nie eine Wiesn besucht zu haben. Allerdings verfolge ich seit etwa zwanzig Jahren einen wichtigen Aspekt dieser Festivität: Den Wiesnbierpreis.
Das Schöne an einer Maß Wiesnbier ist die über Jahrzehnte ungefähr gleichbleibende Quantität und Qualität. Es herrscht für gewöhnlich auch keine Bierknappheit. Der alljährliche Preisanstieg kann mithin nicht darauf zurückgeführt werden, dass die Maß größer, das Bier besser oder knapp geworden sei, sondern vor allem auf die sukzessive Verschlechterung des Geldwertes.
Meine Statistik reicht bis ins Jahr 1950 zurück. Damals kostete eine Maß 1.60 D-Mark (0.82 €), in diesem Jahr waren es je nach Festzelt 12.60 bis 14.90 €, im Mittel ca. 14.20 € (Quelle: Oktoberfest.de). Diese Preissteigerung um den Faktor 17 ist das Ergebnis einer durchschnittlichen Jahresinflation von exakt 4% in der D-Mark bzw. dem Euro.
Abb.1: Im Herbst 1953 konnte man mit 100 D-Mark bzw. dem Gegenwert von 100 Franken oder 21 Gramm Gold etwa 58 Maß Bier auf dem Münchner Oktoberfest erwerben. Seither hat die D-Mark bzw. seit 1999 der Euro 94% seiner Kaufkraft verloren. Der Franken büßte 87% seiner Kaufkraft ein. Gold konnte hingegen +52% an Kaufkraft zulegen. Chart: empiria-brief.de
Während D-Mark und Euro (aber auch der Franken) stetig gegen Wiesnbier abwerten, tendierte Gold in den vergangenen siebzig Jahren unter Schwankungen im Großen und Ganzen seitwärts. In Inflations- und Krisenzeiten wurde es stärker nachgefragt, und seine Kaufkraft in Wiesnbier nahm zu. In Zeiten soliderer Geldpolitik ging die Nachfrage nach Gold wieder etwas zurück, und seine Kaufkraft in Wiesnbier schrumpfte entsprechend.
Vor siebzig Jahren konnte man mit 100 D-Mark je nach Bierzelt 58 bis 59 Maß erwerben, mit dem Gegenwert von 100 Franken immerhin 57 bis 58. Der 1953er-Gegenwert von 21 Gramm Gold entsprach ebenfalls etwa 58 Maß Wiesnbier. Von der damaligen Kaufkraft der D-Mark sind nach sieben Dekaden gerade noch 6% geblieben, vom Franken immerhin 13%, doch vom Gold 152%.
Zwar erwirtschaftete Gold keine Mieterträge, keine Dividenden und auch keine Zinsen. Kein einziger Barren wurde über die Jahre auch nur ein einziges Gramm schwerer. Allerdings verfügt Gold über einen nun schon mehr als zwei Jahrtausende zurückreichenden, ziemlich beeindruckenden Leistungsausweis: Es erhält über Generationen die Kaufkraft weit besser als jede von Menschen erfundene Währung. Gold ist gutes Geld. Der Franken kann das leider nicht mehr von sich behaupten, und der Euro scheint sich ohnehin nicht an der D-Mark, sondern mehr und mehr an der Lira zu orientieren.
Gold als natürlicher Risikopuffer im Aktienportfolio
Goldbesitz ist nicht nur für traditionelle Wiesnbesucher eine Absicherung gegen steigende Bierpreise. Als Beimischung im Aktienportfolio kann es in puncto Risikoreduzierung ebenfalls gute Dienste leisten (vgl. Abb. 2 und Abb. 3). Dies gilt umso mehr, da Staatsanleihen, die in traditionellen Mischportfolios genau diese Rolle seit drei Jahrzehnten erfüllen, sowohl 2022 als auch in diesem Jahr eine herbe Enttäuschung waren.
Abb. 2: Für den Zeitraum 01.01.2020 bis 20.10.2023 zeigt die Grafik die prozentualen Rücksetzer (Drawdowns) vom jeweiligen Allzeithoch im S&P 500 (rote Fläche) und eines Mischportfolios aus 70% S&P 500 (inkl. Dividenden) und 30% Gold (blaue Fläche). Es ist gut zu erkennen, dass die Rücksetzer im Mischportfolio oftmals kleiner ausfallen und schneller wieder ausgeglichen wurden.
Quelle: empiria-brief.de
Nun mag es nach dem schlimmsten Bärenmarkt aller Zeiten für US-Staatsanleihen mit Blick aufs kommende Jahr auch mal wieder eine signifikante Gegenbewegung pro Bonds geben. Doch viel mehr als eine temporäre Atempause für traditionell verwaltete Mischportfolios sollten sich Investoren davon nicht erhoffen.
Abb. 3: Für den Zeitraum 01.01.1973 bis 20.10.2023 zeigt die Grafik die prozentualen Rücksetzer (Drawdowns) vom jeweiligen Allzeithoch im S&P 500 (rote Fläche) und eines Mischportfolios aus 70% S&P 500 (inkl. Dividenden) und 30% Gold (blaue Fläche). Es ist gut zu erkennen, dass die Rücksetzer im Mischportfolio oftmals kleiner ausfallen und schneller wieder ausgeglichen wurden. Dies gilt für die Bärenmärkte in den Siebzigerjahren, für den Börsencrash 1987, für den Bärenmarkt nach dem Platzen der New-Economy-Blase und ebenso für die 2008/09er-Finanzkrise. Die einzig nennenswerte Ausnahme: Der Zeitraum Anfang der Achtzigerjahre nach dem Platzen der Goldblase.
Quelle: empiria-brief.de
Die Inflation ist keineswegs besiegt. Die starken Inflationstreiber – Demografie, Dekarbonisierung und konfrontative Geopolitik – bleiben bestehen. Wird der Dollar in diesem Umfeld seine Funktion als «sicherer Hafen» behaupten? Zweifel erscheinen mir angebracht. Beim Euro hingegen ist die Angelegenheit längst entschieden.
Es braucht mithin Alternativen zu westlichen Staatsanleihen in Mischportfolios. Einige Anleger in Russland, Teilen Asiens oder dem Nahen Osten könnten chinesische Staatsanleihen in Betracht ziehen, doch dass Amerikaner oder Europäer diese als Alternative im großen Stil erwägen, darf als unwahrscheinlich gelten. Dass stattdessen die Goldquote in Mischportfolios aufgestockt wird, erscheint mir deutlich wahrscheinlicher. Ein Blick auf die Risiko-Ertrags-Profile von Aktien-Gold-Mischportfolios liefert gute Argumente für diese Annahme.
Vergleichbare Rendite, deutlich weniger Risiko
Abb. 4 zeigt, dass in den vergangenen fünfzig Jahren eine Beimischung von 10, 20 oder sogar 30% Gold zum S&P 500 (inkl. Dividenden) praktisch keine Rendite gekostet hat, die maximalen Rücksetzer jedoch deutlich reduzieren konnte. Gegen die Grafik könnte der Einwand vorgebracht werden, dass Amerikanern erst ab 1975 überhaupt wieder der private Goldbesitz erlaubt war und sie – anders als Westeuropäer – den Beginn der Hausse in den Siebzigerjahren gar nicht nutzen konnten.
Abb. 4 zeigt für den Zeitraum 1973 bis 2023 in der Senkrechten die Renditen p.a. und in der Waagerechten die maximalen Rücksetzer von elf Mischportfolios aus dem S&P 500 Total Return und Gold (Betrachtung in US-Dollar, vor Steuern und Kosten). Jeweils zum Jahreswechsel wurden die Gewichte adjustiert.
Quellen: Tai-Pan (Lenz+Partner) sowie eigene Berechnungen empiria-brief.de
Deshalb lohnt der Blick auf die vergangenen dreißig Jahre (Abb. 5). Dort ist weder die Goldblase von Ende der Siebzigerjahre noch ihr Platzen in den Achtzigerjahren enthalten. Doch auch hier zeigt sich, dass eine Beimischung von 10, 20 oder 30% Gold die Rendite des Aktienportfolios nur um etwa 0,5% p.a. reduziert hat, die maximalen Rücksetzer jedoch von über 50% auf unter 40% gefallen sind. Für extreme Goldenthusiasten gilt dies ebenso. Eine erhebliche Aktienbeimischung verbesserte das Chance-Risiko-Profil massiv. Wer sich nicht im Vollbesitz der einzigen Wahrheit wähnt, sollte streuen.
Abb. 5 zeigt für den Zeitraum 1993 bis 2023 in der Senkrechten die Renditen p.a. und in der Waagerechten die maximalen Rücksetzer von elf Mischportfolios aus dem S&P 500 Total Return und Gold (Betrachtung in US-Dollar, vor Steuern und Kosten). Jeweils zum Jahreswechsel wurden die Gewichte adjustiert.
Quellen: Tai-Pan (Lenz+Partner) sowie eigene Berechnungen empiria-brief.de
Deutsche Staatsanleihen (REXP) haben von 1993 bis 2023 in Euro übrigens einen Wertzuwachs (Kurse & Zinsen) von etwa 4% p.a. erzielt, Gold in Euro kam auf etwa 6,5% p.a. Wenn man der Meinung ist, dass das Vertrauen in den Westen und westliche Währungen in den kommenden Jahren eher weiter erodieren wird, dürfte Gold – unabhängig von einer vorstellbaren, temporären Gegenbewegung am Bondmarkt im kommenden Jahr – mittel- und langfristig im Vergleich zu Staatsanleihen im Vorteil bleiben.
Abb. 6 zeigt den Performance-Index auf deutsche Staatsanleihen (REXP, schwarze Linie) und in relativer Überlagerung den Kurs von Gold in Euro (gelb) von Januar 1993 bis Oktober 2023.
Quelle: Tai-Pan (Lenz+Partner)
US-Terminbörsendaten fürs antizyklische Timing
Für Timingfragen beim Aufbau und Verwalten der Goldquote finde ich persönlich die Positionierungsstatistik der US-Terminbörse hilfreich. Vereinfacht gesagt, werden darin wöchentlich die aggregierten Long- und Short-Engagements von drei Händlergruppen mitgeteilt: kleine Spekulanten, grosse Spekulanten und kommerzielle Händler.
In Bezug auf den Goldmarkt dürften hinter den kommerziellen Händler größtenteils Goldminen stehen, die je nach der von ihnen empfundenen Attraktivität des aktuellen Goldpreises kleinere oder grössere Teile ihrer zukünftigen Produktion über die Börse per Termin verkaufen.
Derzeit scheinen die kommerziellen Händler trotz des jüngst gestiegenen Goldpreises keine allzu ausgeprägten Verkaufswünsche zu hegen. Ihre Positionierung ist vergleichbar mit jener im Herbst 2022, als die Unze Gold noch unter 1700 $ gehandelt wurde. Wie im Herbst 2022 haben wir auch jüngst die Kurse unterhalb von 1900 $ genutzt, um die Goldposition in unseren Portfolios etwas über die übliche Quote hinaus anzuheben.
Abb. 7 zeigt den Goldpreis in US-Dollar (linke Skala) seit 2022 sowie die Positionierungen der kommerziellen Händler an der US-Terminbörse. Die rechte Skala zeigt die Anzahl der Kauf/Long-Kontrakte in blau und jene der Verkauf/Short-Kontrakte in rot.
Quellen: Tai-Pan (Lenz+Partner), empiria-brief.de
Fazit:
Wenn ich mit der Vermutung richtig liege, dass die Inflation keinesfalls besiegt ist, dann dürfte es westlichen Staatsanleihen zunehmend schwer fallen, ihrer früheren Rolle als Stabilitätsanker in traditionell gemischten Portfolios gerecht zu werden. Auf der Suche nach sinnvollen Alternativen werden immer mehr Investoren höhere Goldquoten ins Auge fassen.
Ein Blick auf den Leistungsausweis von Gold in den zurückliegenden Jahrzehnten dürfte sie in dieser Richtung bestärken. Nicht zuletzt, weil Gold sich gerade in Krisenzeiten häufig konträr zum Aktienmarkt verhält und somit in der Lage ist, die bei Anlegern üblicherweise Stress verursachenden, großen Rücksetzer auf Portfolioebene signifikant zu reduzieren.
Zuerst erschienen am 27.10.2023 auf themarket.ch
Daniel Haase ist seit 1990 an den Märkten aktiv. Die Hausse in den Neunzigerjahren hat er laut eigener Aussage «mit der dafür notwendigen, großen Portion Naivität» mitgenommen, Verluste nach dem Platzen der Blase durch «unverschämt viel Glück» vermeiden können.
Sein Wunsch, nie wieder vom Glück abhängig zu sein, trieb ihn vor 23 Jahren zur systematischen Marktanalyse. Das von ihm von 2002 bis 2006 entwickelte Trendanalyse-Modell wie auch seine Untersuchungen zur regelbasierten Aktienauswahl wurden von der Vereinigung Technischer Analysten Deutschlands 2009 und 2019 mit VTAD Awards ausgezeichnet.
Seit September 2023 ist Daniel Haase als Fondsmanager beim Düsseldorfer Vermögensverwalter WBS Hünicke für mehrere quantitative Anlagestrategien privater und institutioneller Investoren verantwortlich. Zuvor war er acht Jahre Asset Manager bei einem Hamburger Vermögensverwalter, davon fünf Jahre als Vorstand. Seine monatlichen Marktanalysen werden im Empiria-Brief veröffentlicht.